Für mich ist Musik das Fundament meines Lebens. Ich habe die Musik, an der ich als Pianist gerade arbeite, ständig im Kopf – fast ununterbrochen. Während verschiedener Aktivitäten oder sogar im Gespräch mit Menschen klingen in meinem Inneren immer wieder unterschiedliche mögliche Varianten musikalischer Phrasen der Stücke, an denen ich gerade arbeite. Es ist ein endloser kreativer Prozess, der mein Leben mit Musik und Schönheit erfüllt.
Musik ist wie mein bester Freund, zu dem ich sowohl in Momenten der Freude als auch der Trauer komme. Wenn im Leben dramatische oder negative Ereignisse geschehen, ist der beste Weg, sich selbst zu helfen, Musik zu hören oder – in meinem Fall – sich ans Klavier zu setzen und zu spielen. Viele meiner Zuhörer und Bekannten haben mir Geschichten erzählt, wie Musik ihnen in schwierigen Lebensphasen geholfen hat. Einige haben mir sogar direkt gesagt, dass meine Aufnahmen von Bach und Rachmaninow sie gerettet haben, dass sie sie aus tiefer Depression herausgeführt, ihnen Trost gespendet und die Kraft gegeben haben, weiterzuleben.
Einmal, nach einem meiner Konzerte, kam eine ältere Dame zu mir und erzählte mir eine sehr bewegende Geschichte. Ihr Ehemann war gestorben, und sie wollte selbst nicht mehr weiterleben – sie dachte sogar daran, aus dem Leben zu scheiden. Freunde schenkten ihr damals meine CD mit Bachs Goldberg-Variationen. Nach einigen Tagen, in denen sie diese Aufnahme immer wieder hörte, fand sie allmählich zurück ins Leben.
Inzwischen sind mehr als zehn Jahre vergangen, und wir stehen noch immer in Kontakt. Diese Frau führt heute ein wunderbares Leben und bereichert ihre grosse Familie mit ihrem Optimismus und ihrer Lebensfreude.
Als professioneller Pianist verbringe ich tatsächlich viele Stunden meines Lebens am Klavier. Im Grunde ist der Beruf eines Musikers, der als Solist auf internationalem Niveau auftritt, vergleichbar mit dem Leben eines Profisportlers – man muss täglich trainieren, um in Bestform zu bleiben. Schon zwei oder drei Tage ohne Üben, und man ist nicht mehr auf dem höchsten Niveau – das Publikum würde das im Konzert sofort hören. Der Unterschied zu Sportlern besteht nur darin, dass Musiker ihre Karriere in der Regel nicht mit 35 oder 40 Jahren beenden, sondern oft bis ins hohe Alter aktiv bleiben – mit entsprechend vielen Übungsstunden über Jahrzehnte hinweg.
Natürlich ist die Frage, den Körper so in Form zu halten, dass er den Übungsprozess nicht behindert, für jeden Musiker von zentraler Bedeutung. Die Gesundheit der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur ist für einen Konzertpianisten das wichtigste körperliche Thema.
„Für einen Pianisten steht die Vorbeugung von Rückenschmerzen im Mittelpunkt. Denn tatsächlich sind es beim richtigen Spielstil nicht die Finger, die am meisten ermüden. Auch nicht die Armmuskeln. Sondern der Rücken.“
Mit 16 Jahren begann ich, mich auf den Rachmaninow-Wettbewerb in Moskau vorzubereiten – einen Wettbewerb auf höchstem musikalischem Niveau. Ich steigerte meine täglichen Übungsstunden drastisch, im Durchschnitt auf etwa sechs Stunden intensives, konzentriertes Spielen. Bald darauf bekam ich Rückenschmerzen.
Ich erkannte, dass ich etwas ändern musste, und begann mit Yoga. Das besondere Augenmerk auf die Wirbelsäule, die ungehinderte Zirkulation der Energie durch die verschiedenen Chakren entlang der Wirbelsäule – gemäss der Philosophie des Yoga – faszinierte mich sehr. Ich glaube, dass mein Eintauchen in die Weltanschauung des Yoga, mit ihrem Fokus auf Atmung und Wirbelsäule als Grundlage der menschlichen Körperfunktion, mir in meiner beruflichen Laufbahn enorm geholfen hat.
Ich habe verstanden, dass für maximale Effizienz und Natürlichkeit des Klavierspiels, egal ob die Musik leise, laut oder sehr energiegeladen ist, das Wichtigste auf körperlicher Ebene darin besteht, Muskelverspannungen zu vermeiden. Ich habe ein eigenes System der Muskelgewichtsverteilung entwickelt, sodass keine maximale Belastung auf eine kleine Körperstelle, etwa auf die Hand oder den Unterarm, konzentriert wird, was zu Krämpfen führen und gesundheitsschädlich sein könnte.
Ich kann das notwendige Gewicht über den gesamten Körper verteilen, selbstverständlich auch über die Rückenmuskulatur. Dadurch werden mögliche Überlastungen und Krämpfe vermieden, und der gesamte Klavierspielprozess wird ausgewogener, harmonischer und für lange Strecken ausgelegt.
Tatsächlich wurde die bewusste Haltung gegenüber der Wirbelsäule und das Streben nach einer ungehinderten Zirkulation der Energie entlang der Wirbelsäule zur Grundlage meiner Fähigkeit, die körperlich anspruchsvollen, stundenlangen Belastungen meines Berufs zu bewältigen.
Wenn man das äussere Erscheinungsbild und den Spielstil der grössten Pianisten analysiert, die für ihre makellose Technik und ihren kraftvollen Klang berühmt waren etwa Richter, Gilels oder den heute lebenden Sokolov, erkennt man eine auffallende Gemeinsamkeit: Ihre Körperhaltung am Klavier ist sehr ähnlich. Es ist die Natürlichkeit ihrer Pose und das Fehlen unnötiger Bewegungen, die sofort ins Auge fallen.
Es gibt aber auch ein tragisches Beispiel: der brillante kanadische Pianist Glenn Gould. Er stürzte als Kind und verletzte sich am Rücken. Auf Anraten seines Professors spielte er fortan auf einem extrem niedrigen Stuhl. Durch diese besondere Sitzhaltung entwickelte Gould zwar seinen einzigartigen Klavierklang, doch er beendete seine Konzerttätigkeit sehr früh, widmete sich nur noch Studioaufnahmen und starb leider im Alter von nur 50 Jahren. Ich bin überzeugt, dass sein Rückzug von der Bühne und sein früher Tod in direktem Zusammenhang mit der physisch ungesunden Spielhaltung dieses genialen Pianisten standen.
Natürlich hat eine musikalische Komposition eine Wirbelsäule. Musiker nennen sie die musikalische Form. Sie ist das klare Gerüst des Werkes, seine innere Architektur. In musikalischen Meisterwerken ist diese Struktur immer deutlich erkennbar und folgt häufig dem Prinzip des Goldenen Schnitts. Wenn diese musikalische Wirbelsäule jedoch unklar ist, zerfällt die Form, es entstehen unmotivierte Längen oder zu abrupte Übergänge. Leider passiert das manchmal selbst bei genialen Komponisten.
In solchen Fällen liegt es in der Verantwortung des Interpreten, diese Schwächen zu kaschieren, sie zu glätten und gewissermassen die Illusion eines fehlenden Wirbels zu schaffen. Würde ich einem jungen Komponisten raten, wie er die Form seines Stücks verbessern kann, wäre das tatsächlich vergleichbar mit einer Korrektur der musikalischen Wirbelsäule: An einer Stelle müsste man vielleicht einen fehlenden „Wirbel“ hinzufügen, an anderer Stelle ein zu langes, eintöniges musikalisches Material kürzen, um so Balance und Harmonie im gesamten Werk zu erreichen.